Sieben Mann, drei Kerzen, ein Spitzhammer

Das Logenhaus der Ingolstädter Freimaurer entspricht voll und ganz dem Klischee. Das ehemalige Festungstor Heydeck ist zu einer Art Burg umgebaut. Mit drei hohen Torbögen, zwei steinernen Ritterfiguren und den zehn mächtigen Zinnen scheint es das perfekte Domizil für einen geheimnisvollen Männerbund zu sein.

Auf das Innenleben des grauen Gebäudes weist lediglich ein unscheinbares Schild hin, das kaum größer ist als eine Postkarte. In das Steinquadrat sind ein Zirkel und ein Winkelmaß gemeißelt, darunter die Buchstabenfolge T.v.f.B. Das Kürzel steht für „Theodor von der festen Burg“ [sic.], der Name passt angesichts der mindestens einen Meter dicken Mauern. Logen-Chef Georg Ott öffnet freundlich lächelnd die Tür und sagt: „Ich bin der Meister vom Stuhl und habe mich für Sie in Schale geworfen.“ Der 71-jährige ehemalige Manager einer Erdöl-Raffinerie trägt schwarzen Anzug, weißes Hemd, weiße Krawatte mit goldfarbener Stickerei der Zunftzeichen Zirkel und Winkel. Im Tempelraum setzt er auch seinen Zylinder auf und schlüpft in weiße Handschuhe. Hier, hinter dicken Vorhängen und unter rot verklinkerten Säulen und Bögen nehmen die „Brüder“, wie die Freimaurer einander nennen, ein- bis zweimal im Monat auf den blau bezogenen Stühlen Platz und feiern ihr geheimes Ritual. Diese Termine heißen „Tempelarbeit“ und sind für Nichtbrüder tabu. „Diesen Bereich schützen wir sehr“, sagt Georg Ott. Gleichwohl erlaubt er einen kleinen Einblick in die geheimen Praktiken der Freimaurerei.

Das Gute in die Welt tragen

Bei der Tempelarbeit haben sieben Mann ihre festen Plätze: An der Stirnseite Richtung Osten sitzt auf einer Art Thron mit aufwendig verzierter Holzlehne der Stuhlmeister. Auf seinem Meistertisch befinden sich drei Kerzen im Dreieck und ein Hammer, neben seinem Stuhl steht ein Schwert. Davor auf einem kleinen Altar liegt eine Bibel. „Das könnte auch die Thora oder der Koran sein“, sagt Ott, „unser gemeinsamer Nenner ist, dass wir an etwas Übergeordnetes glauben.“ Auch Muslime, Juden und Andersgläubige können Freimaurer werden. Deshalb leuchtet an der Wand hinter dem Meisterstuhl das Gottesauge im Dreieck. Dieses Symbol erscheint auch auf dem Ein-Dollar-Schein – was aber nichts mit der Unterwanderung der USA durch die Freimaurer zu tun habe, wie oft kolportiert wird. „Das Auge im Dreieck ist einfach ein global gültiges Symbol für Gott“, sagt Ott. Links und rechts vom Stuhlmeister sitzen der Redner und der Sekretär. Gegenüber haben der Zeremonienmeister sowie der erste und zweite Aufseher ihren Platz. Etwas seitlich sitzt der Musikmeister vor dem Sony-CD-Spieler. „Da wird alles von Pop bis Mozart gespielt“, sagt Georg Ott, „am beliebtesten sind romantische Sachen.“ Zum Ritual selbst sagt er nichts. Bekannt ist nur, dass es auf dem Brauchtum der alten Steinmetzbruderschaften beruht, die ihr Geheimwissen über den Bau von Sakralbauten nur unter ihresgleichen weitergeben wollten. Heute soll das Ritual den Brüdern helfen, Abstand zum Alltag zu gewinnen und dadurch zu erkennen: Es gibt noch viel mehr als Beruf und Ehrgeiz, als Zahlen und Logik, als Probleme und Sorgen. Damit eine „Tempelarbeit“ stattfinden kann, müssen mindestens sieben Männer anwesend sein. „Wenn weniger kommen, dann gehen wir ins Wirtshaus“, sagt Ott und lacht. An den Längsseiten befinden sich die Stühle für die restlichen Brüder. In der Tempelmitte stehen drei große Kerzenständer – wieder im Dreieck. Sie symbolisieren Weisheit, Stärke, Schönheit. Dazwischen liegt ein kantiger, handballgroßer Stein mit einem Spitzhammer. „Jeder von uns ist ein rauer Stein und muss behauen werden“, sagt der Stuhlmeister. „Wir hauen symbolisch an uns herum, damit der Laute leiser wird und der Leise lauter.“ Ziel der Freimaurer sei es, „menschlicher zu agieren“, sagt Ott. „Wir wollen den Tempel der Humanität erbauen.“ Es gehe darum, das Gute in die Welt zu tragen. „Niemals streben wir nach Macht oder einer Revolution“, betont Ott. Und warum dann die Geheimnistuerei? „Unser Schweigen stiftet Vertrauen und schützt das Erlebnis“, sagt Ott. Ein gewisser Einfluss auf die Gesellschaft darf freilich sein – unter den prominenten Freimaurern befanden sich immerhin Staatsmänner wie Friedrich der Große und Churchill, Musiker wie Mozart und Haydn, Unternehmer wie Ford und Hilton, Schriftsteller wie Goethe und Tolstoi. Die Freimaurerei hat durchaus gut bürgerliche Seiten: Jede Loge ist ein eingetragener Verein. Die Namen der Vorstände sind öffentlich, die Kontaktaufnahme ist stets möglich und erwünscht. Mitglieder zahlen 30 Euro Monatsbeitrag, die Aufnahmegebühr beträgt 360 Euro. Allerdings wird nicht jeder genommen. Jeder Neuling braucht mindestens einen Freimaurer als Bürgen. Der „Suchende“, so werden die Möchtegern-Freimaurer genannt, muss einen einjährigen „Schnupperkurs“ absolvieren. Dann darf er einen Aufnahmeantrag stellen. Offiziell aufgenommen wird der Suchende mit einer geheimen Zeremonie, bei der meist „Die Zauberflöte“ ertönt. Dann kommt es zur sogenannten Ballotage. Dabei geht eine Holzkiste durch die Reihen, jeder Bruder wirft eine weiße oder eine schwarze Kugel in die Schachtel. „Bei mehr als drei schwarzen Kugeln ist der Suchende abgelehnt“, sagt Ott. Etwa zwei Drittel der Suchenden werden nicht aufgenommen. Die Meisten geben vorzeitig aus eigenen Stücken auf. Manchen wird nahegelegt, es nicht auf eine Schmach bei der Ballotage ankommen zu lassen. Laut Satzung müssen die Freimaurer „freie Männer von gutem Rufe“ sein. „Sie dürfen nicht engstirnig sein und müssen von der Moral und Ethik her einwandfrei sein“, sagt Georg Ott. Jeder Neuling erhält zunächst den Lehrlingsgrad und kann danach den Gesellengrad und Meistergrad erlangen. Wie bei den Handwerkern. Der Stuhlmeister wird für zwei Jahre gewählt, maximal ist eine Wiederwahl vorgesehen. In Bayern gibt es etwa 3500 Freimaurer, in jeder größeren Stadt eine Loge, in München zehn. Die gut 470 deutschen Logen und ihre 14 000 Mitglieder sind über die „Vereinigten Großlogen von Deutschland“ verbunden, doch jede Loge kann weitgehend eigenständig entscheiden. Die Ingolstädter Loge ist die offenste in Bayern. „Wir sind kein Geheimbund“, sagt Georg Ott. Via Lokalzeitung lädt er Außenstehende zu Clubabenden ein, um mit ihnen in „fruchtbare Kommunikation“ zu treten und „Vorurteile abzubauen“. Indirektes Ziel ist dabei für Nachwuchs zu werben. Derzeit zählt Ott 38 Mitglieder, Tendenz leicht steigend.

Erste Frauenloge Bayerns

Überhaupt scheint Ingolstadt ein attraktiver Standort für geheimnisvolle Vereinigungen zu sein: 1998 entstand in der Heimatstadt der Illuminaten die erste weibliche Freimaurer-Loge Bayerns. „Wir machen exakt dasselbe wie die Männer“, sagt Stuhlmeisterin Christl Kaspar. Die 61-Jährige und ihre acht Schwestern von der „femininen Freimaurerloge Ingolstadt Selene am Fluß e.V.“ tragen zur Tempelarbeit lange schwarze Röcke und schwarze Oberteile. „Manchmal haben wir gemeinsame Clubabende mit den Männern“, sagt Kaspar, „aber die Tempelarbeit ist strikt getrennt.“ Bis heute gibt es in Bayern nur zwei weitere Frauenlogen: in Fürth und – ganz neu – in München. Zudem gibt es in Ingolstadt die „Niederländer“, die sich treffen, um auf hohem Niveau über Kunst zu diskutieren. Außerdem gibt es hier das „Reych 203 Ingoldia“ der „Schlaraffen“. Dieser Männerbund trifft sich regelmäßig in seiner „Schlaraffenburg“ zu sogenannten Sippungen, bei denen es vor allem um die Pflege der Freundschaft und des Humors geht. Ob es noch weitere Geheimbünde gibt, kann nicht ausgeschlossen werden. Die Illuminaten? „Die Illuminaten sind tot“, sagt Georg Ott, „ansonsten wäre das zu mir durchgesickert.“ Er klingt glaubwürdig. Aber es wird immer welche geben, die ihm das nicht abnehmen.