Die Steinmetzbruderschaften

Die Kirchenbaumeister beherrschten vor vielen Jahrhunderten bereits die hohe Baukunst riesiger Kirchenbauwerke. Verständlich, dass sie ihre Baumeister- „Geheimnisse” vor Fremden geheimhalten wollten, und verständlich auch, dass sich in jenen Bauhütten über die Jahrhunderte hinweg Gebräuche und Rituale entwickelten ebenso wie geheime Erkennungszeichen, die verhinderten, daß Fremde als angeblich in ihre Geheimnisse Eingeweihte in die Bauhütte eindrangen und somit diese Geheimnisse ihres Baumeisters, zum Beispiel in Geometrie oder Statik, erfuhren. Untereinander tauschten sich die Bauhütten allerdings auch vielfach aus, und hier standen die deutschen Bauhütten in enger Verbindung mit denen in England. Da schon in den Baukollegien der Römer und in den Verbänden der Comacini, lombardische Bauhütten, Gebräuche entwickelt wurden, die sich aus dem Zusammenleben einer Gruppe von Menschen mit gleichen Berufszweck von selbst ergeben, so sind in diesen alten Bauhütten gebräuchliche, sehr alte Bestandteile mitverarbeitet, ohne dass dies im Einzelnen genau nachzuweisen wäre. Denn schriftlich festgehalten wurden damals solche Geheimnisse nicht, sondern nur innerhalb der Bauhütten von Mund zu Mund überliefert. Diese Bauhüttentradition geht also direkt auf die Steinmetzen- und Kirchenbauhütten und ihre Gebräuche zurück. Von dort stammen die symbolischen Ausdrücke, die freimaurerische Terminologie.

Als die Kirchenbauten, die Errichtung großer Dome und Kathedralen weniger wurden und dann so gut wie ganz aufhörten, setzte sich die Tradition der „Werkmaurer”, jener Steinmetzen und Kirchenbauer der Bauhütten, auf besondere Weise fort: Diese Bauhütten hatten zuvor schon Männer, die nicht Bauberufen angehörten, meist Mäzene, Adelige oder in anderer Weise herausragende Männer, in ihren Bauhütten als Mitglieder „angenommen, -als Ehrenmitglieder, würden wir heute vielleicht sagen. Männer, die den geistigen Gehalt jener Symbolik, und Rituale der Bauhütten, wie er sich im Verlaufe von Jahrhunderten aus den eigentlichen Bausymbolen entwickelt hatte, erkannten und würdigten. Ich nenne hier einmal den rechten Winkel als Symbol für stets rechtes (,,winkelgerechtes”) Handeln oder die Wasser- oder Setzwaage als Symbol dafür, dass alle Menschen grundsätzlich gleich sind, sich auf gleicher Ebene begegnen sollen.

Je mehr die Bautätigkeit abnahm, umso mehr nahm auch die Zahl der Werkmaurer ab, und die Zahl der “angenommenen” Maurer, der ,,spekulativen” Maurer, zu. Schließlich gab es in den Bauhütten gar keine Werkmaurer mehr, und sie nannten sich Logen, englisch ‘lodges’, ein Wort, das vom lateinischen ‘logia’ oder ‘logium’ für ‘Wohnhaus’ stammt. Sitten und Gebräuche, Symbolik und Rituale und deren aus der Steinmetz- und Kirchenbaukunst stammenden Sprache und Ausdrücke blieben jedoch erhalten, ebenso die Erkennungszeichen und -worte aus jenen Zeiten. Desgleichen das, was man als Außenstehender als ,,Rangstufen” in der Freimaurerei bezeichnen würde.

Quelle: Walter Mehring, “Ursprünge und Wesen der Freimaurerei”